Uni Greifswald / TH Nürnberg / Tollwood: Forschungsprojekt zu "wahren Kosten" von Lebensmitteln abgeschlossen

Julia Breil
02 Oktober 2024

Im Zuge des Forschungsprojekts „HoMaBiLe“ machten die Projektpartner Universität Greifswald, Technische Hochschule Nürnberg und Tollwood München deutlich, welche wahren Kosten pflanzliche und ökologisch produzierte Lebensmittel verursachen. Die Ergebnisse wurden Mitte September vorgestellt.

Horecanews, 02.10.2024 – „Wir stehen vor großen ökologischen und gesundheitlichen Herausforderungen, die nur gelöst werden können, wenn die Preise die Wahrheit sprechen und das aktuelle Agrar- und Ernährungssystem grundlegend reformiert wird“, erklärt Daniela Schmid, die als Projektleiterin bei Tollwood München das Forschungsprojekt „,How much is the dish?‘ – Maßnahmen zur Erhöhung der Biodiversität durch true cost accounting bei Lebensmitteln“ (HoMaBiLe) praktisch begleitete.

Wie diese „wahren Kosten“ aussehen und mit welchen Maßnahmen diese finanziert werden können, war Kernaufgabe des dreijährigen Projekts, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und von der Universität Greifswald, der Technischen Hochschule Nürnberg sowie dem Gesellschafter für Kulturveranstaltungen und Umweltaktivitäten Tollwood München durchgeführt wurde. In einer gemeinsamen Pressekonferenz präsentierten Tobias Gaugler, Professor an der TH Nürnberg, Lennart Stein (Universität Greifswald) und Daniela Schmid (ehemals Tollwood) die zentralen Ergebnisse und Meilensteine der Forschungsarbeit.

Politisches Handeln erforderlich

Dabei wurde deutlich: Die Mehrzahl der Verbraucher ist weder bereit noch in der Lage, die wahren Kosten von Lebensmitteln zu tragen. „Hier liegt die Verantwortung bei der Politik“, fordert Tobias Gaugler. Und diese müsse schnell handeln, sind sich die Projektpartner einig, denn die Zeit dränge: „Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn wir die Zukunft unseres Planeten sichern wollen“, warnt Lennart Stein und betont: „Es braucht nicht nur mehr Aufklärung, sondern auch konkrete politische Entscheidungen, die den Wandel erleichtern und für alle vereinfachen.“ Grundsätzlich müssten pflanzliche und ökologisch produzierte Lebensmittel günstiger werden, lautet die Forderung des Forschungsteams.

Tobias Gaugler sagt dazu: „Es braucht Rahmenbedingungen, die nachhaltige Lebensmittel günstiger und umweltschädliche teurer machen.“ Dies gelinge etwa über eine Senkung der Mehrwertsteuer auf diese Produkte einerseits sowie über die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel tierischen Ursprungs andererseits. Das sei gerechtfertigt, da die Folgekosten für Umwelt, Klima und den Menschen bei letztgenannten größer sind, erläutern die Experten.

Ermittlung der wahren Kosten

Um die wahren Kosten der verschiedenen Lebensmittel sichtbar zu machen, „haben wir die Umwelt- und Sozialfolgekosten der Lebensmittelproduktion erstmals umfassend quantifiziert und in Euro und Cent greifbar gemacht“, erklärt Tobias Gaugler, Professor an der Technischen Hochschule Nürnberg. So stellte das Forschungsteam den aktuellen Supermarktpreis eines Lebensmittels dem Preis gegenüber, den es eigentlich kosten müsste, wenn alle durch die Produktion entstehenden Schäden mit eingerechnet würden – vom Klima über Wasser und Boden bis zur Gesundheit der Gesellschaft. Im Fokus standen dabei vor allem die negativen Auswirkungen der Lebensmittelproduktion, wobei den Forschern zufolge pflanzenbasierte Produkte deutlich geringere Folgekosten verursachen als tierische Lebensmittel.

Auch schneiden Bioprodukte bei den Berechnungen besser ab mit Blick auf ihre produktionsbedingten Folgekosten als konventionell hergestellte Lebensmittel. Vor Herausforderungen stellte die Forscher jedoch der Einfluss der Faktoren Tierwohl, Pestizide und multiresistente Keime auf die Kosten-Berechnung: Handle es sich beim Aspekt Tierwohl in erster Linie um eine ethische Entscheidung, inwieweit dieses für die Berechnungen berücksichtigt werde, so fehlten bei den beiden anderen Faktoren die erforderlichen Datengrundlagen und deren Messbarkeit, machen die Projektpartner deutlich.

Maßnahmen und Aktionen im Projektzeitraum

Um die komplexen Zusammenhänge zwischen Lebensmittelproduktion, -auswahl und den wahren Kosten bereits während des Projektzeitraums der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, stieß das Forschungsteam verschiedene Aktionen und Maßnahmen an. So setzte Tollwood auf kreative und niederschwellige Bildungs- und Aufklärungsmaßnahmen. Zentral waren dabei interaktive Installationen auf den Tollwood-Festivals in München, darunter ein „Tante-Emma-Laden“ im Sommer 2022, ein „True Cost Garden“ im Sommer 2024 sowie öffentliche Diskussionen, wie die Podiumsdiskussion auf der Biofach im Februar 2023 über die wahren Kosten der Nutztierhaltung. „Unser Ziel war es, das Thema greifbar zu machen, damit die Menschen Zusammenhänge verstehen“, betont Daniela Schmid.

Ein Höhepunkt des Projekts war auch die enge Zusammenarbeit mit der Supermarktkette Penny im August 2023: Dabei wurden im Rahmen einer Aktionswoche in über 2.000 Filialen neun Produkte zum ‚wahren Preis‘ angeboten, den die Kunden auch tatsächlich an der Kasse zahlen mussten, berichtet Lennart Stein von der Universität Greifswald. Daraus sei eine breite Diskussion und auch erstmals gesellschaftliches Bewusstsein für die wahren Kosten der Ernährung entstanden.

Ein weiterer Meilenstein war der neu entwickelte Bio-Speiseplaner im Projekt „Bio für Kinder“. Hierbei unterstützt ein Online-Tool Kitas und Schulen dabei, Speisepläne ohne hohe Folgekosten umzusetzen. Das Tool setzt dazu auf eine biologische, regionale, saisonale und pflanzenbetonte Ernährung und bietet praxisnahe Unterstützung durch digitale Schulungen und Coaching-Programme. „Nachhaltiges Essen darf kein Hexenwerk sein – es muss schmecken und einfach umzusetzen sein“, erklärt Daniela Schmid.

Weitere Forderungen an die Politik

Neben der Senkung der Mehrwertsteuer auf pflanzliche und der Erhöhung auf tierische Produkte, fordert das Projektteam außerdem eine stärkere Honorierung von Ökosystemdienstleistungen wie beispielsweise den Schutz des Grund- und Trinkwassers oder den Schutz der Artenvielfalt. Auch eine „massive Förderung“ des ökologischen Landbaus sei den Forschern zufolge unerlässlich. In den Fokus der Politik müssen darüber hinaus die Verpflegung in Kitas und Schulen gerückt werden, appelliert Daniela Schmid. Sie fordert: „Die Politik muss Standards schaffen, die Umwelt, Gesundheit und Genuss vereinen, und durch Coaching-Programme den Umstellungsprozess begleiten.“

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